Folge mir in die Ewigkeit
Folge mir in die Ewigkeit - die Geschichte zu "Oh Schauder über Schauder"Annika, die
Friedhofsgärtnerin goss nach einem trockenen Spätsommertag am Abend
noch die Blumen auf den Gräbern deren Köpfe müde und durstig
herabhingen. Die Dämmerung zog bereits herauf, doch Annika war noch
nicht fertig mit ihrer Arbeit. Hier und dort zupfte sie die
verwelkten Blüten ab und warf sie in einen Eimer um sie später im
Kompost hinter der Kapelle zu entsorgen. Die laue Sommerluft strich
warm und beruhigend um die Grabsteine. Als Annika selber Durst bekam,
stillte sie diesen an einem kleinen Brunnen der zwischen den alten
Ahornbäumen zum Wasser holen diente.
Auf einmal fühlte sie
sich schläfrig und ein leichter Schwindel befiel sie. Erschöpft
ließ sie sich auf eine Bank sinken und schon fiel ihr Kopf zur
Seite. Jemand musste das Brunnenwasser mit einem Schlafmittel
versetzt haben, denn als Annika erwachte war es bereits tiefe Nacht
und schwarze Schatten hüllten den Ort der Verstorbenen in
gespenstische Dunkelheit. Fröstelnd zog sie ihre warme Wolljacke an
und stand auf. Aus der Ferne hörte sie die Glocken der
Friedhofskapelle Mitternacht schlagen und erschauderte. Der Glaube
besagte, dass sich zu dieser Zeit die ruhelosen Seelen der Toten
erheben würden um nach ihren Angehörigen zu suchen und durch deren
Liebe den Weg in den Schlaf der Ewigkeit zu finden.
Plötzlich hatte Annika
die unheimliche Empfindung kühle Finger auf ihrer Schulter zu
spüren. „Wer ist da!“ schrie sie erschrocken und fuhr herum.
Doch es kam keine Antwort. Um sie herum herrschte bedrückende Stille
außer dem Rascheln der Blätter im Wind und kleinen Tieren die durch
das Dickicht huschten. Und dann sah sie sie. Flureszierende Körper
die im Mondlicht umherirrten. Säuselndes Stimmengewirr aus der
Zwischenwelt. Fasziniert und zugleich gelähmt vor Entsetzen ließ
sie sich wieder auf die Bank fallen und wagte es nicht sich zu
bewegen. „Annika! Annika!“ raunte eine Stimme dicht neben ihrem
Ohr und ließ sie erschaudern. Wieder fragte sie:“ Wer ist denn
da?“ „Dein Geliebter Radomir! Kennst Du mich denn nicht mehr?“
Annika hatte vor Jahren, sie war damals junge 15, einen Freund der
tatsächlich Radomir hieß. Nachdem er in seine Heimat Rumänien
zurückgezogen und sie verlassen hatte, heilten die Jahre Wunden und
sie vergaß die Zeit ihrer Jugend und wurde älter. Nun, nach 27
Jahren rief er ihren Namen.
„Warum durftest Du
leben und ich nicht!“ seine tiefe Stimme klang bedrohlich. „Wie
schön Du bist meine geliebte Annika!“ säuselte er ihr ins Ohr und
strich über ihre Wangen und Augenlieder so dass Annika ganz benommen
war vor ungewollter Erregung und Angst. „Ich starb damals an einer
seltenen Krankheit die in Rumänien ganze Dörfer auslöschte.“
erklärte ihr Radomir. „Seitdem wandelte ich rastlos umher, das
Seidentuch, welches Du mir zum Abschied schenktest trug ich stets bei
mir. Und so nahm ich Deine Witterung auf um Dich zu suchen, meine
Prinzessin, denn es folgte keine Frau nach Dir.“ schmeichelte er
ihr „Folge mir als meine Gemahlin in die Ewigkeit, Du schöne und
bezaubernde Frau.“ Annika ließ sich verzaubern. „In einem
Schlosse wirst Du wohnen und ich werde Dich auf rotem Samte betten,
als meine Geliebte. Mein Königreich werde ich Dir zu Füssen
legen.“ lockte er sie mit süßen Versprechen. „Doch Dein
irdisches Leben wird schwinden und Du wirst mit mir die Nacht
begrüßen, verdammt zu ewigem Leben in der Dunkelheit!“
Annika war hin und her
gerissen. Sie sah ihn nicht, nur einen schwarzen Schatten der sich,
keine Widerrede zulassend, über sie beugte. Sein Wesen und seine
Seele waren bereits von der Dunkelheit gefangen genommen worden. Er
wollte ihr das ewige Leben schenken, doch was war der Preis dafür?
Als sie ihn kennen lernte war er ein junger, zarter Knabe gewesen mit
schulterlangen schwarzen Haaren und einem sanften Wesen – nun
schien ein Dämon aus ihm zu sprechen. Dennoch verfiel sie seinem
Reiz und neigte den Kopf zur Seite.
Ein stechender Schmerz,
der ihren Hals durchzuckte und ihren Körper in Lust erbeben ließ
raubte ihr die Sinne. Heiß rann das Blut über ihre Brust, welches
ihr dämonischer Liebhaber, der wie ein Inkubus in ihr Leben trat,
wegleckte. Dann ließ er sie alleine, in der Gewissheit sie würde
ihm folgen und ihn finden.
Annika ließ die Geister
hinter sich und folgte dem von Fackeln gesäumten Weg bis zu einem
wundervollen Schlosse. Seine Mauern und Türme erhoben sich
plötzlich auf der Lichtung, hinter der mit Efeu überwucherten
Friedhofsmauer. Zögernd trat Annika durch das offene Holztor auf die
verwilderte Wiese und schritt durch das hohe, an ihren Beinen
kitzelnde Gras auf das prächtige Anwesen zu.
Das mit okkulten
Ornamenten verzierte Eingangstor öffnete sich wie von Geisterhand,
knarrend und krächzend, so dass Annika kalte Schauder über den
Rücken liefen die sie kurz inne halten ließen. Die verführerische
Stimme die in weiter Ferne ihren Namen rief lockte sie jedoch herein
in das Reich ihres neuen Gebieters. Annika war überwältigt von der
düsteren Schönheit des Saales, welcher sich am Ende der nach unten
führenden Steintreppe erstreckte. Meterhohe verstaubte Spiegel
zierten die Wände und silberne Kandelaber tauchten den Saal in ein
diffuses Licht welches bizarre Schatten auf den weißen Marmorboden
warf. „Oh, Radomirl.“ seufzte Annika. „Endlich sind wir wieder
vereint, mein Geliebter um die Ewigkeit zu teilen.“
Der Schmerz, den sein
Biss ihr zugefügt hat war schnell vergessen und verziehen. Annika
fühlte sich jedoch noch schwach und schwebte wie schlafwandelnd über
den kalten Marmorboden und die, sie immer tiefer in das Herzen des
Schlosses führenden Steintreppen. Die Fenster waren geöffnet und
ließen den kühlen Wind durch die dunklen Gänge ziehen. Die
schweren Samtvorhänge wiegten sich in dem aufkommenden Sturm und
hinter dem Wald grollte der Donner. In Annikas Kopf wirbelten
Gefühle der Angst und der sehnsüchtigen Erwartung. Sie war unfähig
seinem Bannkreis zu entkommen. Die schmiedeeisernen Gitter vor den
Fenstern verhinderten eine Flucht.
Dunkle Schatten umgaben
sie, die sie bewachten. Selbst die Pupillen der Grafen und Barone auf
den verblichenen Gemälden folgten ihr mit ausdruckslosem Blick und
ließen sie nicht aus den Augen. Wachsam und stets bereit ihr den
Fluchtweg zu verschließen standen sie da, die alten Rüstungen links
und rechts der Türen, hinter deren toten Stahlhelmen rote Augen zu
funkeln schienen. Annika wurde bewusst, dass sie nun seine Gefangene,
und das Schloss ihr neues Zuhause war.
Immer tiefer führten sie
die steinernen Stufen in das Herzen des Schlosses – in die Hölle
seines Gemaches, in dem er auf sie wartete um die Verwandlung zu
vollenden. Unsicher und mit pochendem Herzen öffnete sie einen Spalt
breit die hölzerne Tür zu seinem Zimmer und war geblendet von
seinem Anblick.
Im fahlen Kerzenschein,
der seine bleiche, makellose Haut schimmern ließ, lag er auf dem mit
schwarzem Satin bezogenen Bette und winkte sie zu sich her. Der
gefährliche Blick seiner kristallblauen Augen ließ sie vergessen,
dass er ihr das Leben aus Egoismus und Selbstgefälligkeit genommen
hatte. Seine edle Gestalt, sein langes schwarzes Haar machten aus ihm
einen Verführer, dem sie nicht widerstehen konnte.
Annika spürte, wie sie
in dem Sog des Eismeeres seiner Augen versank. Seine kräftigen Hände
zogen sie an die Oberfläche zurück und hauchten ihr einen Kuss auf
den Mund der sie vergessen ließ woher sie kam und wer sie war.
„Folge mir in die Ewigkeit!“ raunte er ihr mit eisigem Atem in
das Ohr und führte seine aufgeritzte Schlagader an ihre trockenen
Lippen. Zuerst widerwillig, dann gierig vor Verlangen saugte sie, den
ihr neue Kraft verleihenden Lebenssaft in sich auf. Wie kochendes
Gift schoss sein Blut durch ihre Venen und ihr wurde schwindelig.
Bevor ihr schwarz vor Augen wurde und sie in seinen Armen
zusammensackte, sah sie am Horizont wie der Mond- der für Vampire
die Sonne darstellt – unterging.
Als er ihren von
gewaltigen Schmerzen zuckenden Körper in den mit rotem Samt
ausgelegten Sarg legte und den Deckel schloss fiel Annika in einen
langen traumlosen Schlaf. Als sie erwachte war es bereits wieder
Nacht geworden und erneut schien der Mond zwischen den grauen
Wolkenfetzen hervor. Radomir erwartete sie mit einem Kristallglas am
Kamin. „Trink, meine Prinzessin der Nacht!“ forderte er sie auf
und benommen von seiner edlen Schönheit stießen sie ihre Gläser an
und labten sich an dem süßen Saft eines wilden Rehs welches Radomir
zuvor gejagt und getötet hatte.
Auf den Friedhof ließ er
sie nicht mehr gehen, aus Furcht ihre Erinnerungen könnten
zurückkehren. Doch eines Nachts, als sie im Wald auf Jagd ging
begegnete sie dennoch einem bekannten Gesicht. Sie sah ihren Vater,
mittlerweile im Greisenalter umherirren und wusste, dass er dem
Pflegeheim entflohen war. Mitleid ergriff sie, denn sie wusste, dass
auch er nicht mehr lange zu leben hatte. Dennoch konnte sie es nicht
mit ihrem Gewissen vereinbaren ihm dem Schicksal auszusetzen, welches
sie ereilt hat und ihn in ewiger Finsternis umherstreifen zu lassen.
Radomir kam ihr jedoch
zuvor. „Nein, nicht! Das ist doch mein Vater!“ schrie Annika noch
vor Schreck. Und schon wollte sich Radomir auf ihren Vater stürzen
als jedoch alles ganz schnell ging. Annikas Vater sah, dass eine
dunkle Gestalt auf ihn zuschwebte und strauchelte . Als Radomir seine
spitzen Zähne in seinen Hals schlagen wollte, entschied es der
unglückliche Zufall, dass der Vater, durch einen vor Schrecken
ausgelösten Herzschlag zur Seite kippte. Radomir konnte sich nicht
mehr bremsen und rannte in einen Astvorsprung der sich mitten in sein
Herz bohrte.
Annika war nun allein in
der Finsternis des Waldes und sehnte sich nach der Ruhe des Todes.
Wissend, dass totes Blut ihr Vampirdasein beenden würde, beugte sich
Annika von Schmerz und Trauer erfüllt über den Leichnam ihres
Vaters und grub ihre spitzen Zähne in seinen faltigen Hals. Sie
trank, bis der letzte Tropfen aus seinem Körper gesaugt war und fiel
daraufhin in einen tiefen Schlaf aus dem sie nicht mehr erwachte. Sie
sah, wie ihre durchscheinenden Seelen den Körper verließen und
davon schwebten, dem Himmel entgegen. Wilder Moos legte sich wie eine
Decke auf ihre Körper und sie konnten nun endlich schlafen.
„Folge mir in die Ewigkeit“ stand auf dem verwitterten Grabstein geschrieben und eine Hand legte eine rote Rose nieder um ein kurzes Gebet zu sprechen...