Das Mädchen im Wald
Das Mädchen im Wald - die Geschichte zu Forestmaid
Wo sie auftauchten herrschten gemischte
Gefühle. Kranke baten sie oft um Hilfe, denn ihre natürlichen
Heilmethoden haben immer wieder bereits Aufgegebenen das Leben
gerettet.
Ihre wilde und schöne Musik zog
neugierige Kinder und Jugendliche an, die sich schüchtern aber mit
begeisterten Blicken hinter den Bäumen und Felsen verstecken um
dieser zu lauschen. Die Sippen umherstreunender Zigeuner verstanden
es Faszination bei den Dorfbewohnern zu erzeugen.
Viele sahen in den verwilderten und
ungepflegten Landstreichern jedoch eher die Brut des Bösen. Raub und
Gewalttaten wurden mit den Zigeunern in Verbindung gebracht. Man mied
ihre Gesellschaft und versuchte sie von dem Dorfe fern zu halten. Der
ohnehin in diesen Zeiten weit verbreitete Aberglaube vertrug sich
nicht mit den unheimlichen Vorahnungen und Wahrsagungen, der mit
billigem Gold behängten alten Damen, die auf Jahrmärkten das Geld
aus den Taschen der verunsicherten Seelen zogen.
So kam es, dass Evindra, die Tochter
des Bürgermeisters sich beim Pilze suchen im Wald verlief und sich
zu allem Übel mit ihrem Fuß in einer Falle verfing. Alleine hätte
sie sich nicht befreien können wäre nicht Vendros, ein Junge der
Zigeunersippe auf ihre Hilfeschreie aufmerksam geworden. Sofort
unterbrach er sein Geigenspiel und eilte in die Richtung aus der das
verzweifelte Schluchzen kam.
Geschickt löste er den blutenden Fuß
Evindras aus der Falle, riss sich einen Fetzen seines Hemdes vom Leib
und verband mit besorgter Miene die Wunde. Beschämt senkte Evindra
ihren Blick zu Boden. Ihr war bewusst welch üblen Ruf die Zigeuner
in ihrem kleinen Dorf hatten. Dennoch war sie dem jungen Mann mit den
stechenden, fast schwarzen Augen und den verfilzten Haaren zum Dank
verpflichtet und ließ es zu, dass er sie zumindest bis zum Gartentor
auf seinen starken Armen trug.
Evindra hatte jedoch nicht damit
gerechnet, dass ihr Vater um die Mittagszeit nach Hause kam und so
sah er sie durch das Küchenfenster in den Armen des verhassten
Zigeuners und ward außer sich vor Empörung. Wütend kam er aus der
Tür in den Vorgarten gerannt und herrschte den jungen Mann an ihm
sofort seine Tochter zu übergeben: „Was haben Sie mit meiner armen
Tochter angestellt, lassen sie ihre dreckigen Finger von ihr und
scheren Sie sich fort!“
Evindra wollte Vendros verteidigen,
ihrem Vater von seinem mutigen und pflichtbewussten Rettungsakt
berichten, doch schon wurde sie von ihm am Kragen in das Haus gezerrt
wo es eine Standpauke hagelte. „Wie kannst Du Dich nur auf diese
kriminellen Kreaturen einlassen, meine einzige Tochter. Du hast mich
sehr enttäuscht Evindra. Ich werde Dich nun in Deinem Zimmer
einsperren damit Du Deine Begegnung mit dieser Ratte bereuen kannst.“
Und so schob Evindras Vater, nachdem er
ihr noch etwas zu Essen und zu Trinken auf das Zimmer bringen ließ
den Riegel vor die Tür. Seine Tochter überließ er nun ihren
Gedanken, die um Vendros und seinen schlanken Körper, seine
verführerischen Augen und seine zarten Hände schweiften. Voller
Sehnsucht ihn wieder zu sehen stand sie am Fenster und blickte zu den
in der Nachmittagssonne dunkelgrün schimmernden Baumwipfeln des
Waldes hinüber.
Vendros wartete geduldig hinter der
Mauer bis Evindras Vater sich zur Ratsversammlung aufmachte. Er
wusste, dass diese bis in die Nacht hinein dauern würde und meist
traf man sich hinterher noch auf ein Bier im Wirtshaus. Als alle
Lichter im Haus erloschen waren und nur noch das gelegentliche
Maunzen der umherstreunenden Katzen zu hören war, schlich sich
Vendros an das Anwesen des Bürgermeisters heran.
Und dann sah er Evindra in ihrem
seidenen weißen Nachtgewand am Fenster stehen wie sie mit einer
Kerze in die aufkommende Dunkelheit leuchtete, als ob sie ihm den Weg
weisen wollte. Gewand wie eine Raubkatze schwang sich Vendros auf den
untersten Ast des knorrigen Apfelbaumes und kletterte geschwind und
lautlos zu dem Fenster hinauf hinter dem sich das Gemach Evindras
befand.
Um auf sich aufmerksam zu machen warf
er kleine Kiessteinchen an die Scheibe bis Evindra zögernd das
Fenster öffnete: „ Wer ist denn da?“ wollte sie ängstlich
wissen. „Ich bin es, Vendros!“ flüsterte der Junge leise und
schob sich frech zu ihr auf das Fensterbrett. „Verschwinde schnell,
wenn Dich mein Vater hier entdeckt wird er uns beide bestrafen!“
warnte Evindra ihren Retter und wollte schon das Fenster wieder
schließen.
Da sprang Vendros schon in ihr Zimmer
und schob sie mit seinen kräftigen Armen in die Richtung des Bettes.
Unfähig sich seines Griffes zu entwinden stolperte Evindra rückwärts
bis sie die weiche Decke an ihren nackten Beinen spürte, auf die sie
nun fiel. Als sie überrumpelt von seiner forschen Art kurz
aufschrie, verschloss er ihre roten Lippen mit einem innigen Kuss.
Und so liebte sich das ungleiche Paar,
das junge Mädchen aus behütetem und reichem Elternhaus im seidenen
Nachthemdchen und der ungepflegte, verwilderte Zigeunerjunge ohne
feste Heimat. Unbedacht gaben sie sich ihrer Sehnsucht zueinander hin
und er säte seinen giftigen Samen auf reinem Acker.
Als Evindra bemerkte, dass sie
schwanger ward lief sie in den Wald und suchte vergebens nach den
bunten Wagen der Zigeuner. Verzweiflung stieg in ihr auf und ihr
wurde schmerzhaft bewusst, dass die Sippe bereits weiter gezogen war.
Sie hatten Vendros mitgenommen, den Vater, des in ihrem Bauch
heranwachsenden Kindes.
So nahm Evindra Abschied von ihren
Eltern und erklärte ihre Reise mit einem Sprachaufenthalt bei ihrer
Tante Georgia, die in England lebte. Ihre Eltern, die auf Bildung und
Sprachkenntnisse großen Wert legten ließen sie stolz, wenn auch
schweren Herzens ziehen. Ihrer Tante hatte Evindra die Wahrheit
erzählt und diese bat fürsorglich ihre Unterstützung an.
Nach neun Monaten kam zur Sommerzeit
ein kleines Mädchen auf die Welt und Evindra gab ihr den Namen Ann.
Ihre Augen waren grün wie die Wipfel der Bäume und ihr Haar war
schwarz wie das verwitterte Holz der Geige, die ihr Vendros nach den
leidenschaftlichen Stunden die sie miteinander verbracht hatten
geschenkt hatte.
Doch Evindras Tochter Ann sah die Welt
um sich herum nicht, in die sie geboren wurde und sie konnte auch die
Worte nicht hören die man ihr sagte. Ann war taub und blind. Evindra
kehrte zu ihren Eltern zurück und versuchte das Geschehene zu
vergessen. Vendros kam nie wieder in das Dorf zurück. Währenddessen
zog Evindras Tante Ann im Verborgenen auf, so gut es ihr mit deren
Behinderungen möglich war.
Irgendwann wurde Tante Georgia jedoch
krank, denn ihr Alter schritt schell voran und Ann wurde der betagten
Dame eine Last. So führte sie das Mädchen, welches stets ihre Geige
mitnahm, denn das Geigenspiel war ihre einzige Freude, in den Wald
und setzte sie in der Nähe der dort lagernden Zigeunersippe aus.
Diese fanden Ann jedoch nicht und so zogen sie weiter und ließen das
hilflose Mädchen mit der Geige im Wald allein.
Ziellos streifte das Mädchen durch den
Wald und weinte oft bittere Tränen. Wenn sie jedoch das glatte Holz
der Geige berührte und mit dem Bogen über die Seiten strich war es
als ob sie liebliche Klänge vernahm. Sanfte Töne aus weiter Ferne
die ihr Ohr streiften und sie sanft einlullten in einen zartgrünen
Schleier der Geborgenheit.
Das Leben im Wald schärfte ihren
Spürsinn und ihre Instinkte. Wie ein Wesen der Nacht fand sie sich
in der sie umgebenden Dunkelheit zurecht. Sie lernte die Gerüche des
Waldes kennen, den Geschmack von Beeren und Wurzeln, Nüssen und
Kräutern. Und wenn sie an der aufkommenden Kühle spürte, dass die
Nacht sich ankündigte so zog sie sich zurück unter die schützten
Äste und Blätter der Baumkrone und spielte auf ihrer Geige.
Wenn sie sich zum Schlafen auf dem
weichen Moos niederließ und sich mit dem Laub der Bäume bedeckte
träumte sie davon zum bleichen Mond hinaufzuschweben und mit einfach
nur ausgebreiteten Armen durch das Sternenzelt zu gleiten wie in
einer Zirkuskuppel. Die Tiere und Pflanzen des Waldes, selbst die
Bäume schienen durch ihr liebliches Geigenspiel zum Leben erweckt zu
werden und wiegten sich zu den Klängen der melancholisch-traurigen
Melodien.
Ann war ganz auf sich alleine gestellt.
Von den Dorfbewohnern wurde sie nur weggestoßen und in ihrem Inneren
hörte sie an der Gewalt ihrer groben Hände die herablassenden Worte
die sie ihr zuwarfen: “Verschwinde Du Freak!“ „Die Hexe mit dem
starren Blick!“ Was auch immer sie ihr für böse Äußerungen
zuwarfen, in der Überzeugung sie könne sie ohnehin nicht hören –
Ann wusste genau, in der zivilisierten Gesellschaft der Dörfer und
Städte war sie mit ihren Behinderungen nicht erwünscht.
Der Wald allein spendete ihr Trost,
nahm sie auf unter sein Blätterdach und eines Abends bekam sie die
Gesellschaft, auf die sie schon so lange gewartet hatte. Zuerst
spürte sie nur etwas Warmes und Weiches ihre Beine streifen. Als die
raue, feuchte Zunge über ihre Wange strich erschrak Ann zuerst, doch
sie spürte, dass es eine freundschaftliche Geste war und fasste
Vertrauen.
Ihr Geigenspiel, welches wie der Gesang
einer Nachtigall durch die Stille zog und von dem Wind weiter
getragen wurde, lockte zahlreiche Tiere des Waldes herbei. Rehe,
kleine Wildschweine, Hasen und Eichhörnchen nahmen um sie herum
Platz. Die Vögel auf den Zweigen der Bäume stimmten ein in ihr
Geigenspiel, der Specht klopfte den Takt, der Hirsch röhrte und es
war wie in einem großen Konzert bei dem jeder Musiker gewissenhaft
sein Instrument spielte.
Von diesem Abend an war Ann nicht mehr allein und fand viele neue Freunde. Am Tag spielte sie mit den flinken Häschen Fangen oder ließ sich auf dem weichen Rücken eines Hirsches durch den Wald tragen. Wenn sich die Sonne dann langsam in roten und gelben Streifen am Horizont zum Schlafen legte, so begann Silvana ihr abendliches Konzert und begleitete die Diva Nachtigall mit ihrer Geige. Selbst der blasse Mond leuchtete nun golden auf die Lichtung und erhellte die Bühne mit seinem warmen Glanz.